„Agil ist eine Haltung“: Wie der Denkwechsel in der Praxis gelingt
Agil im Museum: Etwa 100 Teilnehmende bei museum4punkt0 | impulse-Veranstaltung zu Chancen flexibler, co-kreativer, interdisziplinärer Arbeitsprozesse
Agil sein heißt mutig sein, ergebnisoffen in einen Arbeitsprozess zu gehen. Und es heißt, bereit zu sein, gemeinsam im Austausch zu entwickeln und zu reflektieren. Damit kann sich auch die Akzeptanz sowohl bei den Nutzenden wie auch den Mitarbeitenden im Haus erhöhen.
Im Rahmen der ersten Veranstaltung des Jahres 2022 in der Reihe museum4punkt0 | impulse berichteten Caroline Flöring (Varusschlacht im Osnabrücker Land Museum und Park Kalkriese), Nadine Schrecken (Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloss Gottorf) und Dr. Markus Würz (Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland) aus ihrer agilen Projektarbeit in museum4punkt0. Der kollegiale Austausch zu konkreten Arbeitsschritten und Erfahrungen in der Veranstaltung wurde von den Teilnehmenden als hilfreicher Input mitgenommen, wie das Ergebnis der Umfrage am Ende der Veranstaltung deutlich zeigte.
Agil zusammenarbeiten im Museum – aber wie?
In ihrem Impulsvortrag bezeichnete es Dr. Silke Krohn als Notwendigkeit, agil im Museum zu entwickeln. Agiles Arbeiten ist u. a. die Voraussetzung dafür, die Komplexität der Entwicklung einer digitalen Anwendung zu bewältigen, flexibel auf technische Anforderungen und Bedarfe zu reagieren und vielfältige Kompetenzen der Mitarbeitenden zu nutzen. Kurz: um alle mitzunehmen!
Oft stehen jedoch die Strukturen von Museen agilen Arbeitsmethoden entgegen. Dazu gehören Hierarchien, komplexe Organisationsabläufe und Abhängigkeiten etwa von Vergabeverfahren. Wie interdisziplinäre und abteilungsübergreifende Zusammenarbeit, Transparenz, Entscheidungsfreiheit und Ergebnisoffenheit zum Gelingen eines Projekts – und der Zufriedenheit der Beteiligten – beitragen, zeigten Praxisbeispiele und Diskussion.
Denk-Wechsel: im Austausch mit der Agentur
Wie wichtig es ist, Inhalte und technische Anforderungen zusammenzudenken und dieses Wechselspiel in einem gemeinsamen Arbeitsprozess mit den Entwicklern abzubilden, berichtete Caroline Flöring aus ihrer Arbeit im museum4punkt0-Projekt Tracking the Past – Vom Forschungsfeld zum Erlebnisraum. Die Idee, den Besuchenden ein Tool anzubieten, mit dem sie den 24 Hektar großen Museumspark, ein riesiges archäologisches Forschungsfeld, selbst entdecken können, brachte das musuem4punkt0-Team in der Umsetzung dazu, sich noch genauer über die Visitor Journey zu verständigen. In einem agilen Prozess nutzte das Team die Chance, im Rahmen ihres Projektes mehr über die Besucher*innen zu erfahren. Um möglichst viele von ihnen mit einem neuen digitalen Angebot anzusprechen, helfe nur: „testen, testen, testen“. Schnell zeigte sich, dass das Verständnis über Inhalte und technische Anforderungen gemeinsam und im regelmäßigen Austausch mit der beauftragten Agentur zu entwickeln ist. Gemeinsames Reflektieren der einzelnen Arbeitsschritte bildet die fruchtbare Grundlage für das Weiter- und gelegentlich auch für das Umdenken.
Ein solch agiler Arbeitsprozess sollte bereits in der Leistungsbeschreibung für die Beauftragung festgehalten werden. Dazu gehören beispielsweise ein Zeitkontingent für kreative, ergebnisoffene Prozesse und die Anforderung, in einem iterativen Arbeitsprozess auch in Kreativentscheidungen einbezogen zu werden, oder Workshops für die gemeinsame Entscheidungsfindung.
Transparenz, Mitsprache und Fingerspitzengefühl
Interaktive Boards können bei der Organisation der Zusammenarbeit helfen, erfordern es aber auch, Einträge zu sortieren, zusammenzufassen, aufzubereiten und auszuwerten: „Es braucht einen Kümmerer“, berichtete Nadine Schrecken vom museum4punkt0-Projekt Digitales Storytelling: historische Räume und visualisierte Geschichte(n). Im Austausch mit den Mitarbeitenden anderer Museumsbereiche kann ein neu eingesetztes Tool eine Hemmschwelle errichten. Wenn es bewährte Methoden gibt, wie das gute alte Protokoll, muss man das Rad nicht immer wieder neu erfinden.
Auf welchem Weg auch immer: Wichtig ist es, alle mitzunehmen. Und das gelingt, wenn Transparenz und Mitspracherecht gelebt werden. Dazu braucht es Fingerspitzengefühl, zumal die Beteiligung an einem Digitalprojekt oft zu dem Tagesgeschäft im Museum hinzukommt. Die oftmals wenig agilen Strukturen im Museum bilden allerdings den Rahmen, in dem agile Arbeitsmethoden adaptiert werden können. Nadine Schrecken weiß aus ihrer Arbeit mit den sehr unterschiedlichen Häusern der Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloss Gottorf wie wichtig es ist, die Expert*innen in alle Entscheidungen einzubeziehen und in der interdisziplinären Zusammenarbeit vom Expertenwissen zu profitieren. Mit der abteilungsübergreifenden Zusammenarbeit lassen sich Multiplikatoren gewinnen, wie Aufsichten, die im direkten Kontakt mit den Nutzenden stehen.
Agiler als gedacht
„Vielleicht sind wir doch flexibler und agiler, als wir zunächst gedacht haben.“ Zu dieser Erkenntnis kam Dr. Markus Würz und unterstrich damit die These, dass Agilität vor allem eine Haltungsfrage ist. Auch im museum4punkt0-Projekt ZeitzeugenFragen. Eine interaktive Videoinstallation zur Multiperspektivität von Geschichte entwickelt das museum4punkt0-Team ein digitales Vermittlungsangebot in einem offenen, agilen Prozess. Das Team reagiert flexibel und kreativ etwa auf technische Anforderungen. So ließ sich beispielsweise der Weg hin zu einer innovativen Medieninstallation für die Vermittlung von Zeitzeugen-Berichten an den Voraussetzungen KI-gestützter Verfahren neu ausrichten: Anstelle der nicht umsetzbaren KI-gestützten Sprachsteuerung nutzt das Team KI, um Zeitzeugen-Interviews zu erschließen und spannende Geschichten zu finden. Exploratives, prototypisches Arbeiten setzt Flexibilität und eine agile Zusammenarbeit voraus, da das Ergebnis gerade nicht vorweggenommen werden kann. Austausch und Feedback, darauf komme es an.
Vermitteln wir die Inhalte, die wir vermitteln wollen? Diese Frage begleitet den Arbeitsprozess in den Projekten und hilft, nicht an den künftigen Nutzer*innen vorbei zu entwickeln. „Der Blick verändert sich – das ist das Schöne in einem agilen Projekt“, formuliert Caroline Flöring. Und, mit den Worten von Markus Würz: Agiles Arbeiten in einem Projekt wirkt nach in die Strukturen des Hauses, „wie ein Stein, der im Wasser Wellen schlägt“.
Mit der Haltung, sich auf einen ergebnisoffenen Prozess einzulassen, Reflexionen und Input von Fokusgruppen, Kolleg*innen anderer Bereiche des Hauses sowie Input aus regelmäßigen Testings und dem interdisziplinären Austausch wirksam aufzunehmen, kann es sicher gelingen, ein Angebot zu entwickeln, das von den Nutzer*innen angenommen und dem Haus mitgetragen wird.
Beitrag von: Dr. Maite Kallweit, Dr. Silke Krohn, Mira Hoffmann
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