AR-Vermittlung im Rokokosaal und auf den Spuren des digitalen Publikums
Labor digital: Zwei museum4punkt0-Projekte der Klassik Stiftung Weimar nehmen das Kulturerlebnis in und außerhalb der Museen in den Blick.
Digitale Vermittlung im Bereich der kulturellen Bildung ist längst mehr als eine Ergänzung zum „echten“ Museumsbesuch. Dabei reichen die digitalen Möglichkeiten von der virtuellen Begehbarkeit sonst verschlossener Räume über die Interaktion von BesucherInnen mit hinter Vitrinen verschlossenen Objekten bis hin zur Nutzung außerhalb des Museums, etwa in Online-Werkstätten und sogenanntem digitalem Outreach. Digitale Vermittlung spielt in allen Phasen der Visitor Journey eine wichtige Rolle – und zwar nicht nur in der Vor- und Nachbereitung eines Museumsbesuchs oder während des Besuchs selbst, sondern auch in einem erweiterten Verständnis von BesucherInnen – den digitalen BesucherInnen.
Gerade das digitale Publikum ist, bedingt durch die Corona-Pandemie, in den vergangenen Monaten immer wichtiger geworden. Aber auch darüber hinaus können digitale Vermittlungsformate ein Angebot für Menschen sein, denen eine Anreise beispielsweise nicht möglich ist. Auch lassen sich darüber neue Zielgruppen erschließen. Viel Energie stecken die Museen derzeit in die Erfüllung ihres Bildungsauftrags im Bereich des Digitalen. Aber noch wissen wir wenig über unser digitales Publikum, was es von uns erwartet, was es braucht, um die Angebote nutzen zu können. Zwei unterschiedliche Einsatzmöglichkeiten digitaler Vermittlungstools werden nun im Rahmen des Verbunds museum4punkt0 entwickelt und auf ihr Zusammenspiel mit dem „echten“ Raum hin untersucht. Was das genau heißt, diskutieren die beiden ProjektkoordinatorInnen und berichten, welche Fragen sie bewegen.
Florentine: Nicolas, du bist aus Karlsruhe nach Weimar gekommen. Was genau wirst du machen?
Nicolas: Ich werde im Rahmen des museum4punkt0-Teilprojekts der Klassik Stiftung Weimar ein Evaluierungstool für digitale Angebote entwickeln. Mein Fokus liegt also auf Formaten außerhalb des Museums und den digitalen BesucherInnen. Dabei ist mir wichtig, auf die Perspektive der NutzerInnen einzugehen und Feedback einzuholen, um die digitalen Angebote von Museen weiterentwickeln zu können. Bei der Klassik Stiftung werde ich dies exemplarisch an der Evaluierung der Digitalen Werkstatt, einem Videoformat, welches während Corona entstanden ist, machen.
Nicolas: Florentine, du bist nun schon eine Weile bei der Stiftung, an welche Erfahrungen knüpfst du mit deinem Projekt an?
Florentine: Mein Teilprojekt wird eine AR-Anwendung innerhalb der App „Weimar+“ für das historische Stammgebäude der Herzogin Anna Amalia Bibliothek sein. Es geht also um die Entwicklung eines Vermittlungstools, das innerhalb des Museums zum Einsatz kommt. Ich kann dabei auf Erfahrungen in der Konzeption und Koordination von App-Inhalten zum Nietzsche Archiv zurückgreifen. Seither begleite ich die sukzessive Erweiterung von „Weimar+“. Soviel zur technischen, App-bezogenen Seite. Inhaltlich bin ich mit der Herzogin Anna Amalia Bibliothek seit etwa einem Jahr beschäftigt, da ich in ein Projekt zur Neugestaltung ihrer Präsentationsräume involviert bin.
Florentine: Mich würde nun interessieren: Wie steigst du in dein Teilprojekt zum „Labor digital“ ein?
Nicolas: Der erste Schritt für mich ist, den Ist-Zustand des Angebots unserer Digitalen Werkstatt festzustellen und die Bedürfnisse an ein Evaluierungstool zu definieren. Da dieses neugeschaffene Evaluierungstool möglichst vielfältig einsetzbar sein soll, werde ich auch mit den ProjektpartnerInnen von museum4punkt0 über deren Ansprüche und Anforderungen an ein digitales Evaluierungstool sprechen, und dies in meine Planung einbeziehen.
Nicolas: Und du – wie genau sieht dein Projekt aus, was hast du vor?
Florentine: In der Herzogin Anna Amalia Bibliothek gibt es den Rokokosaal mit seinen historischen Bibliotheksbeständen, von denen die BesucherInnen bisher allerdings nur die Buchrücken anschauen können. Zwar können die Bücher über den Katalog der Bibliothek zur Einsichtnahme im Lesesaal bestellt werden. Die musealen Restriktionen verhindern aber, dass sich die BesucherInnen im Rokokosaal näher mit den Büchern beschäftigen. Wir wissen allerdings, zum Beispiel aus Gästebüchern, dass sich die BesucherInnen mehr Vermittlung zu den historischen Büchern während der Besichtigung wünschen. Mein Ziel ist es, in meinem Teilprojekt von „Labor digital“, ein digitales Angebot, welches auf dieses Bedürfnis eingeht, zu entwickeln: Ich stelle mir das zurzeit so vor, dass ich als BesucherIn in der erweiterten Realität mit Smartphone oder Tablet Bücher aus den Regalen ziehen kann oder mir die Bücher sogar entgegenfliegen, sodass ich in ihnen blättern und mehr über sie erfahren kann.
Florentine: Nicolas, du wirst ja ein Evaluierungstool entwickeln. Was ist eigentlich das Besondere bei der Erforschung digitaler BesucherInnen?
Nicolas: Für mich ist die Herausforderung, neben der Entwicklung des Evaluierungstools auch Wege zu finden, die digitalen BesucherInnen zu erreichen. Dabei muss es sich nicht immer um die BesucherInnen handeln, die das Museum besuchen, sondern es ergibt sich ein ganz neues Feld der BesucherInnenforschung. Dabei ist zu fragen, wie wir das analoge Museumserlebnis mit den digitalen Angeboten verknüpfen. Können die digitalen Angebote auch für sich alleine stehen?
Nicolas: Florentine, du beschäftigst dich mit dem Zusammenspiel zwischen analogem und digitalem Raum. Was fasziniert dich an der Entwicklung eines digitalen Vermittlungstools für den musealen Raum?
Florentine: Der museale Raum lebt ja meistens sehr stark von den originalen Exponaten, für manche auch von einer ganz besonderen Atmosphäre. Mit einer digitalen Vermittlungsebene kann ich diese Atmosphäre mit Informationen anreichern, ohne den Raumeindruck durch raumgreifende Texttafeln zu versperren oder zu zerstören. Dabei fasziniert mich das Zusammenspiel zwischen der Rezeption des Analogen und des Digitalen, denn es geht ja nicht darum, dass ich die ganze Zeit auf den Screen meines Geräts schaue, sondern auch den eigentlichen analogen Raum mit seinen Objekten wahrnehme. Eine AR-Anwendung scheint mir – im Gegensatz zur VR-Technik – ideal zu sein, um beides zu verbinden. Außerdem liegt in ihr spielerisches Potenzial, womit neue Zielgruppen begeistert werden können. Im Fall meines Projekts: für den Rokokosaal. Zumindest ich stelle es mir ziemlich cool vor, wenn mir ein Buch entgegenfliegt wie bei Harry Potter.
Florentine: Nun meine letzte Frage an dich: Was erhoffst du dir von der Zusammenarbeit mit den Partnerinstitutionen im Verbund museum4punkt0?
Nicolas: Digitale Angebote in Museen sind sehr vielfältig und reichen von Video-Formaten, Podcasts, bis zu Apps und Online-Spielen. Ein Evaluierungstool muss für alle diese Formate anpassbar sein. Daher freue ich mich auf den Input der vielen anderen Projekte der VerbundpartnerInnen und werde von dieser Vielfalt von Ansätzen bei der Entwicklung des Evaluierungstools profitieren. Auch andere Projekte beschäftigen sich mit Evaluierung und Besucherorientierung, an deren Erfahrung ich gerne anknüpfen möchte. Hier wäre vielleicht auch die Gründung einer neuen AG „Evaluation, Rezeptionsforschung und Besucherforschung“ denkbar.
Nicolas: Und du? Worauf freust du dich in der Zusammenarbeit im museum4punkt0-Verbund besonders?
Florentine: Ich freue mich auf den hoffentlich sehr regen und intensiven Austausch in den Arbeitsgruppen. In einigen Partnerinstitutionen des Verbunds gibt es „verwandte“ Projekte mit Anwendungen im Bereich AR und VR. Mit diesen PartnerIinnen möchte ich die spezifischen Herausforderungen dieser Technik diskutieren. Auf der anderen Seite möchte ich auch die anderen vielfältigen digitalen Projekte kennenlernen und mich zu übergreifenden Thema wie etwa der inklusiven Nutzung digitaler Angebote auszutauschen.
Beitrag von: Marie Florentine Holte, Nicolas Dittgen und Sophia Gröschke