19. Mai 2020
Entwickeln, Testen & Evaluieren, Wissenstransfer

Ein Blick über die Schulter – Professionals auf ihrem Weg der Recherche

Stephanie Thom, Timo Schuhmacher und Josefine Otte berichten über ihre Nutzertests mit WissenschaftlerInnen zu Online-Recherche-Verhalten.

Eine der Aufgaben im Teilprojekt der Staatlichen Museen zu Berlin ist die Neukonzeption und Neugestaltung der Online-Sammlungen. Ein breiteres und diverses Publikum anzusprechen ist eines der Ziele der Neuausrichtung. Um auf die Vielfalt der Bedürfnisse von BesucherInnen der Online-Sammlungen einzugehen, konzipieren wir Angebote, die die digitalen Objekte und ihre Daten von verschiedenen Perspektiven aus nutzbar machen.

Eines dieser Angebote umfasst auch die gezielte Recherche durch Professionals. Um ein solches zu konzipieren, muss zunächst evaluiert werden, wie innerhalb der spezifischen Disziplinen Recherchetools genutzt werden. Schließlich gilt auch hier der Grundsatz der Gestaltung funktionaler Elemente: “You are not user!” Denn so viel wie man als diejenigen, die die Tools konzipieren, selbst auch auf Online-Sammlungen recherchiert, Webseiten nutzt, doch am Ende sind immer die Anderen die Nutzer!

Testaufbau im Home-Office
Testaufbau im Home Office, Foto: Josefine Otte, CC BY 4.0

Forschungsfragen

Ausgehend von dieser Überlegung, wollten wir mehr über die spezifischen Visitor Journeys digitaler NutzerInnen auf Online-Museumssammlungen wissen: Warum wird gesucht? Wie und wonach wird gesucht? Welche Treffer werden als sinnvoll angesehen?

Da SMB-digital eine Online-Plattform heterogener Museumssammlungen ist, spricht sie WissenschaftlerInnen verschiedener Fachdisziplinen an. Annehmend, dass unterschiedliche Wissenschaftsdisziplinen unterschiedliche Anforderungen an ihre Suche stellen, konnten wir die Forschungsfragen präzisieren:

  • Gibt es eine Unterscheidung in dem Informationsbedarf zwischen den Fachdisziplinen der WissenschaftlerInnen (Provenienzforschung, Restaurierung, Archäologie, Ethnologie, Kunstwissenschaften)?
  • Welche Informationen und Funktionalitäten werden von welcher Fachdisziplin für die Arbeit benötigt?

In Zeiten von Corona: Methodenauswahl und Intervieworganisation

Ziel der Untersuchung sollte also sein, das Rechercheverhalten von WissenschaftlerInnen in unterschiedlichen Disziplinen auf Online-Sammlungs-Datenbanken besser zu verstehen. Nicht nur das Vorgehen, sondern auch die hierbei zu Tage tretenden Wünsche und Bedürfnisse, die sog. Jobs, im Nutzungskontext sind dabei interessant. Vor allem im Bereich der Software- und Produktentwicklung kommt hierfür oft die Methode des Lauten Denkens (Thinking aloud) zur Anwendung: TeilnehmerInnen werden dazu aufgefordert, ihre Gedanken und Emotionen während der Benutzung einer Webseite laut auszusprechen. Aufgrund der aktuell geltenden Kontaktbeschränkungen in Folge der Corona-Beschränkungen planten wir von Beginn an, die Untersuchung ausschließlich im virtuellen Raum durchzuführen. Hierzu wurde allein ein virtueller Besprechungsraum benötigt mit der Möglichkeit der Freigabe des Bildschirms für InterviewerInnen und BeobachterInnen sowie einer Aufnahmefunktion von Ton und Bild. Ein virtuelles „über die Schulter schauen“ war so nicht nur kontaktlos, sondern auch zeiteffizient für alle Beteiligten gewährleistet.

Gestaltung der Gesprächsverläufe: Der Weg ist das Ziel

Der Interviewverlauf wurde in drei Teile gegliedert:

  1. Begrüßung und Warm-Up
  2. Durchführung einer Testaufgabe im Modus “Lautes Denken”
  3. Abschlussinterview

Die Methode des Lauten Denkens kam im Hauptteil des Gesprächs zum Zuge: Die TeilnehmerInnen erhielten für sie entwickelte fiktive Rechercheaufgaben auf einer Online-Museumssammlung einer anderen Institution. Mit Hilfe des geteilten Screens der Teilnehmenden, war es möglich, die Schritte während der Recherche direkt nachzuvollziehen und ganz offen gehaltene Rückfragen zu Absichten, Gedanken, Bedürfnissen und Meinungen stellen zu können. Nicht die Lösung der Rechercheaufgabe stand hierbei im Vordergrund, sondern der Weg durch die Online-Plattform.

Entwicklung der Aufgaben: Wie nahe abgestimmt oder wie offen sollte eine Aufgabe an die Fachdisziplin gestellt werden?

Eine große Hilfe zur Annäherung an die Erarbeitung der Aufgaben bildete die intensive und unmittelbare Arbeit mit den Daten im Museumsdokumentationssystem. Hier wurde sehr darauf geachtet, wie die Fachgebiete Felder ausfüllen, wie häufig Begriffe vorkommen oder welche besonderen Eintragungen erkennbar sind. Daran ließen sich erste Indizien für die jeweiligen „Eigenheiten“ festmachen und vermuten, welche Informationen als Basis für die Aufgaben herangezogen werden können. Eine Hypothese bestand beispielsweise darin, dass ArchäologInnen sehr stark nach Fundumständen recherchieren, während bei kunstwissenschaftlichen Fachgebieten die Basisdaten zum Werk und seinen KünstlerInnen sehr entscheidend bei der Informationsbeschaffung sind.

Als Gegencheck wurden Informationen auf potenziellen Online-Sammlungen gesucht, um eine Auswahl für geeignete Szenarien treffen zu können. Das Stöbern führte dabei durch verschiedene Sammlungsplattformen von der Kunsthalle Mannheim, über die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden bis hin zu englischsprachigen Webauftritten, wie dem Penn Museum – University of Pennsylvania Museum of Archaeology and Anthropology.

Faktoren wie Ergebnisqualität der Suche, NutzerInnenführung, Visualisierung der Informationen oder das Vorhandensein von Verlinkungen bildeten dabei Qualitätskriterien, die die TeilnehmerInnen während ihrer Aufgaben bewerten konnten. Diese Aufgaben wurden so gewählt, dass sie zum beruflichen Hintergrund der Teilnehmenden passten: Neben dem Recherchieren für eine Publikation, bildet beispielsweise die Suche nach passenden Objekten für Ausstellungen die tägliche Arbeit vieler WissenschaftlerInnen ab.

Einblick in erste Ergebnisse: Typische Zitate aus den Interviews

Kunsthistorikerin: „Richtig hoch aufgelöste Bildmaterialien sind für meine Recherchen ein großer Gewinn. So können auch Signaturen und Wasserzeichen erkennbar sein. Oft schaue ich auch erst einmal die Bilder durch, ob es verwandte Darstellungen unserer Sammlungsobjekte gibt.“

Restaurator: „Ich steige bei der Suche sehr spezifisch ein auf diesen fremden Plattformen, suche dort konkret nach einem Künstler, nach einer Zeit, nach einem archäologischen oder kunsthistorischen Zusammenhang. Gute nachvollziehbare Filtermöglichkeiten und eine transparente Verschlagwortung sind mir hierbei besonders wichtig.“

Ethnologin: „Mir fällt gleich als erstes auf, dass es gar keine Titel für die Felder gibt. Ist der Name nun der Sammler, der Händler oder gar der Künstler? Ist die Jahreszahl der Zeitraum der Entstehung des Objekts oder der Aufnahme in die Sammlung? Von wem stammen die Beschreibungen und Kontextualisierungen? Es würde mir die Arbeit erheblich vereinfachen, wenn dies auf den ersten Blick deutlich würde.“

Archäologin: „Ich habe bei einer Suche immer gleich ganz bestimmte Kriterien im Kopf. Oft ist es aber schwierig, die richtigen Objekte oder Objektgruppen zu finden, da es selten einen “Autocomplete” gibt oder Thesauri bei den Schlagwörtern hinterlegt sind oder Identifikationsnummern sich ändern können.“

Betrachten wir die Aussagen der einzelnen ProbandInnen, lassen sich überschneidende und spezifische Bedürfnisse für die Neugestaltung der Online-Sammlungen SMB festmachen. Folgende gemeinsame Wünsche fallen hier besonders ins Gewicht:

  • Erweiterung der Objektkontexte durch das Verlinken innerhalb des eigenen Sammlungsbestandes und zwischen den weiteren Sammlungen der SMB
  • Verortung der Objekte in den Ausstellungsräumen der SMB
  • Klare Verdeutlichung der Erwerbungs- und Sammlungskontexte (Provenienz)
  • Sucheinstiege über mehrere Ebenen, wie Themen, Objekte, Stichworte
  • Facettensuche mit vorgeschlagenen Schlagwörtern
  • Abbildungen sollen eine Zoom-Funktion enthalten
  • AnsprechpartnerInnen für verschiedene Aufgaben im Museum sollen angegeben werden

Wohingegen bei den spezifischen Bedarfen vor allem folgende Aspekte entscheidend sind:

  • Multilinguale Objektinformationen
  • Einbindung des originären Titels in den Objektinformationen
  • Begründung der Auswahl und etymologische Erläuterung von Begriffen
  • Angabe der Urheber von Objektbeschreibungstexten

Nutzung der Ergebnisse des Testings für die Entwicklung

Bereits während der Interviews selbst, notierten sich die BeobachterInnen interessante Aussagen und ließen diese in einem kurzen gemeinsamen Anschlussgespräch Revue passieren. Die detaillierte Auswertung der qualitativen Daten findet aktuell statt, um anschließend eine Priorisierung der Anforderungen für die kommende Entwicklung zu erstellen.

Ein Beitrag von: Josefine Otte, Stephanie Thom und Timo Schuhmacher

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Teilprojekt: (De-)Coding Culture. Kulturelle Kompetenz im Digitalen Raum
Teilprojekt

(De-)Coding Culture. Kulturelle Kompetenz im Digitalen Raum

Das museum4punkt0-Team der Staatlichen Museen zu Berlin baut unter anderem die Online-Sammlungen der SMB als Multiexperience-Plattform aus, um vielfältige Bezüge zwischen Objekten und Nutzer*innen herzustellen und damit die identitätsstiftende Wirkung von Kunst und Kultur zu fördern.

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