Der „Narrenspiegel“ – eine AR-Anwendung
Der Blick in den digitalen Spiegel sorgt für Verwirrung. Den Betrachtenden wird mit Augmented Reality eine virtuelle Fastnachtsmaske aufgesetzt. Das Spiel mit der eigenen Identität kann beginnen!
Überblick
Information und Dokumentation
Verwandte Ergebnisse
Der Narrenspiegel ist kein gewöhnlicher Spiegel: Er zeigt den Besuchenden welcher Narr in ihnen steckt. Beim Blick in den Spiegel schlüpfen die Betrachtenden durch eine aufgesetzte Fastnachtsmaske automatisch in eine neue (virtuelle) Identität. Neugierige, die dem Spiegel besonders nahe kommen, werden mit einem Maskenwechsel belohnt.
Bibliographische Angaben
- Institution
- Museen der Schwäbisch-alemannischen Fastnacht
- Teilprojekt
- Kulturgut Fastnacht digital
- Autor*innen
- Vera Jovic-Burger
- Veröffentlicht
- 29.03.2023
- Lizenz der Publikation
- CC BY-NC-SA 4.0
- Kontakt
- Vera Jovic-Burger
Fastnachtsmuseum Narrenschopf, Bad Dürrheim
+49(0)7726 977224
info@narrenschopf.de
Entwicklung
Die Idee des „Narrenspiegels“ ist aus der Zufallsentdeckung eines Projektmitarbeiters entstanden: Beim Experimentieren mit optischen Verfremdungen der Videoporträts realer Personen fand er heraus, dass man deren Gesichter relativ leicht hinter virtuellen Masken verbergen kann. Daraus resultierte schließlich die Entwicklung des „Narrenspiegels“. Dieser besteht aus einem Bildschirm, in dem sich die vorbeigehenden Betrachter sehen, weil sie von einer unauffällig angebrachten kleinen Kamera gefilmt werden. Aufgrund des Goldrahmens wirkt der Bildschirm auf dem ersten Blick wie ein gewöhnlicher Spiegel. Sobald sie sich dem vermeintlichen Spiegel nähern, erleben sie eine Überraschung: Sie sehen nicht mehr ihr Gesicht, sondern haben plötzlich eine Fastnachtsmaske auf. Nach erneuter Annäherung erscheint eine andere Maske. Mal ist es eine Hexenfratze, mal eine liebliche Barocklarve, mal eine Tiermaske usw. Die Maskenauswahl wird von einem Zufallsgenerator bestimmt.
Inhaltliches Konzept
Was auf dem ersten Blick aussehen mag wie eine bloße optische Spielerei, hat in Wirklichkeit einen ernsthaften Hintergrund, der mit einem einfachen didaktischen Text neben der Installation erläutert wird. Im Unterschied zum rheinischen Karneval, dessen Aktive trotz ihrer Kostümierung immer noch erkennbar sind, wird in der schwäbisch-alemannischen Fastnacht ein viel weiter greifendes Spiel mit der Identität getrieben: Durch die totale Vermummung und das Tragen einer geschnitzten Gesichtsmaske aus Holz sind die Aktiven völlig unkenntlich und löschen ihre wahre Identität für eine begrenzte Zeit aus. Daraus resultieren vollkommen neue soziale Möglichkeiten. Eben diesem Spiel mit der Identität fügt der oben beschriebene Narrenspiegel noch eine weitere Dimension hinzu. Während die fastnächtlichen Maskenträger den Unvermummten am Straßenrand als anonyme Wesen gegenübertreten und damit eine merkwürdige Macht auf sie ausüben, bleibt den Maskierten selbst die Außenperspektive auf ihre eigene Wirkung verwehrt. Im virtuellen Narrenspiegel sehen sich die Betrachter jedoch unversehens als Maskierte und können dabei – dies ist die neue Dimension – zugleich hautnah erleben, welche Wirkung von ihnen durch die unterschiedliche Maskierung ausgeht. Dadurch wird den Besucherinnen und Besuchern des Museums das Wesen der Vollmaskierung als zentrales Merkmal südwestdeutscher Fastnacht auf eindrückliche Art vermittelt.
Technisches Konzept
Unser Set-Up:
- ein iPad Pro 2020
- ein USB-C auf HDMI-Kabel
- eine HDMI-Capture-Card
- ein Computer, auf dem die Meeting-Software lief. Die Capture-Card wurde als Webcam erkannt und spiegelte lediglich den Bildschirm des iPads.
Auf dem iPad wurden folgende Schritte ausgeführt:
- Mit der „3D Scanner App“ ein 3D-Scan der Maske angefertigt, zugeschnitten und als USDZ exportiert.
- Mit der App Reality-Composer wurde diese Datei importiert und der Anker für den Nullpunkt wurde auf die Gesichtserkennung gelegt. Anschließend muss das Objekt nur ein wenig ausgerichtet werden. Im AR- Modus wird das 3D-Objekt immer auf ein Gesicht projiziert.
Für den Einsatz als Narrenspiegel wurde dann getestet, ob die Größe des iPad Pro 2021 in 11 oder 12,9 Zoll ausreicht. Leider ist der menschliche Kopf auf den kleinen Bildschirmen kleiner dargestellt, als er tatsächlich ist. Deswegen verwenden wir zusätzlich einen Monitor, der an das iPad angeschlossen ist. Damit ist das Erlebnis immersiver.
Der Monitor wurde mit dem iPad in einer Medienstation im Museum verbaut.
Dabei ist das iPad unsichtbar, die Kamera bedeckt lediglich den Rand des Monitors, welcher mit einem goldenen Bilderrahmen eingefasst wurde.
Implementierung und Inbetriebnahme
Beim Einbau in die Säule/Medienstation ist aufgefallen, dass der Aufnahmewinkel der Kameras den Bilderrahmen schneidet, sodass die Löcher dafür mehrere Zentimeter groß sein müssten. Deswegen haben wir uns für eine Lösung mit einer Notch (Kerbe) entschieden. Das iPad ragt soweit in das Bild, dass die Kamera den Rand nicht mehr abbildet. Es ist vergleichbar mit einer Notch von einem Smartphone. Damit das iPad nicht entnommen werden kann und das aktive Display nicht stört, wurde eine schwarze Abdeckung mit dem 3D-Drucker gedruckt. Diese wird vor dem iPad verschraubt.
Nachnutzung und Weiterentwicklung
Da die Technik sehr simpel und ohne Programmierkenntnisse leicht umsetzbar ist, kann sie ohne großen Aufwand in anderen Museen verwendet werden. Mit dieser Methode lassen sich ebenso andere Ideen umsetzen. Möglich wären zum Beispiel, dass gescannte Objekte oder Objektsammlungen einen optischen Anker bekommen und sich an einer Grafik im Raum orientieren. Natürlich kann man die Scans in ihrer Größe variieren, um Verborgenes zu zeigen. Ebenfalls wären Flyer mit QR-Codes denkbar, bei denen der QR-Code den Downloadlink bereitstellt und der gesamte Flyer als Anker fungiert. So könnten Besuchende 3D-Objekte als Erinnerung mit nach Hause nehmen. Allgemein lassen sich so relativ einfach und kostengünstig AR-Anwendungen umsetzen.
Die 3D-Scans der Glattlarve und der Teufelslarve werden auf Sketchfab bereitgestellt.