Senckenberg Backstage – Sammlung und Forschung interaktiv und explorativ erleben
Überblick
Die Dauerausstellung „Seckenberg Backstage“ öffnet den Blick hinter die Kulissen des Senckenberg Forschungsmuseums in Görlitz. Angelehnt an ein Sammlungsregal zeigt eine raumfüllende Medieninstallation von fast 5 Metern Länge Objekte aus den wissenschaftlichen Sammlungen. Über Touchscreens können die Besucher*innen aus einer Vielfalt an digitalen Inhalten auswählen. Sie bieten praxisnahe Einblicke in die Sammlungs- und Forschungsarbeit. Das Interaktionskonzept ermöglicht den Besucher*innen das selbständige und interessengeleitete Stöbern. Die über 80 abrufbaren Videos, Animationen, Fotoserien und 3D-Objekte wurden von einem projektinternen Team erstellt. Die Inhalte können über ein nutzerfreundliches Content Management System jederzeit ergänzt werden.
Bibliographische Angaben
- Institution
- Senckenberg Museum für Naturkunde Görlitz
- Teilprojekt
- Forschung in Museen erklären, verstehen, mitmachen
- Autor*innen
- Lisa Janke, Prof. Willi Xylander
- Veröffentlicht
- 23.03.2023
- Lizenz der Publikation
- CC BY 4.0
- Kontakt
- Senckenberg Museum für Naturkunde Görlitz
post-gr@senckenberg.de
Ausgangspunkt der Entwicklung
Die Besucher*innen moderner Forschungsmuseen lernen diese fast ausschließlich als Ausstellungshäuser kennen. Dabei umfassen die öffentlich zugänglichen Räume des Museums meist nur einen kleinen Teil der umfangreichen Sammlungen. In den Magazinen des Senckenberg Museums für Naturkunde Görlitz befinden sich allein ca. 6,5 Millionen Sammlungsobjekte. Die Größe und Bedeutung der Sammlungen als Beleg für die Vielfalt der Natur in Raum und Zeit und als Forschungsinfrastruktur sowie die zahlreichen Wissenschaftler*innen und ihre Arbeit bleiben meist unsichtbar, unbekannt und unverstanden. Mit einer neuen Dauerausstellung sollte ein Einblick in diese umfangreichen Sammlungen gegeben und Forschungsbereiche und die Arbeit am Museum für Besucher*innen erlebbar gemacht werden.
Inhaltliches Konzept
Der Blick hinter die Kulissen des Museums zeigt vor allem Eines: Eine große Fülle. Für die Produktion der medialen Inhalte wurden alle 12 Forschungssektionen des Museums eingebunden. Mit den Sektionsleiter*innen wurden Objekte, Prozesse und Geschichten zusammengetragen, die für Besucher*innen spannend und für die Arbeit am Museum repräsentativ sind. Eine hilfreiche Struktur dafür wurde von den Kernaufgaben des Museums abgeleitet. So konnten jeweils zu den Themen „Sammeln“, „Dokumentieren“, „Präparieren“, „Archivieren“ und „Forschen“ potentielle Inhalte umrissen werden. In enger Zusammenarbeit mit Mitarbeiter*innen des Museums wurden darauf aufbauend Videos, Animationen und Fotostrecken erstellt. Ausgestattet mit Kamera-Equipment und einem PC-Schneideplatz arbeitete ein projektinternes Team an redaktionellen Aufgaben und Drehbüchern, führte Dreharbeiten, Animationen, Fotosessions und die Nachbearbeitung des Video- und Bildmaterials durch.
Die Inhalte zeigen zum Beispiel den Weg eines Funds in die Sammlung, verschiedene Präparationsmethoden, die Dokumentation von Objekten und die Bereitstellung von Daten und Metadaten für die Wissenschaftsgemeinschaft und unsere objektbezogene Forschung: Da wird ein Waschbär präpariert, Regenwürmer werden gesammelt oder Gesteinsproben dokumentiert. Gedreht und fotografiert wurde im Freiland, im Labor und im Büro. Ein wichtiges Ziel war, die Mitarbeiter*innen unseres Museums selbst zu Wort kommen zu lassen. Wissenschaftler*innen, Präparator*innen, Informatiker*innen, aber auch Doktorand*innen und Studierende präsentieren spannend und authentisch ihren unterschiedlichen Arbeitsalltag am Forschungsinstitut. Dadurch wird nicht nur die Vielfalt der Aufgaben am Museum sichtbar, sondern auch die Menschen, die sie ausüben, die begeistert sind von ihrer Arbeit und das authentisch vermitteln. In Interviews erzählen die Forscher*innen, was sie persönlich antreibt und welche ihrer wissenschaftlichen Erkenntnisse sie begeistern oder auch bestürzen. Es geht also nicht nur um die Ergebnisse, sondern auch um das Prozessuale der Wissenschaft, die Offenheit, Neugierde, Lust am Forschen und an der Erkenntnis sowie um die Persönlichkeiten unserer Forscher*innen.
So entstanden über 80 kurze, in sich geschlossene Inhalte als praxisnahe Einblicke in die Sammlungs- und Forschungsarbeit. Über die vielen Einzelbeiträge hinweg sollen so die großen Aufgaben unseres Museums – Sammeln, Forschen und Bewahren – verständlich werden. Die Präsentation der Inhalte in der Ausstellung wurde dafür als exploratives Erlebnis geplant. Es sollte keine Reihenfolge oder Hierarchie vorgegeben werden, sondern die Besucher*innen von ihren individuellen Interessen geleitet in den Inhalten stöbern, sich einen Überblick verschaffen oder sich in ein Thema vertiefen können. Alle Inhalte sind, oft durch Video-Untertitel, dreisprachig in Deutsch, Englisch und Polnisch verfügbar.
Szenografisches Konzept
Zu Beginn des Projekts sollten die Inhalte über eine große, gebogene Projektionsfläche als „Raum-im Raum“-Konstruktion im Foyer des Museums präsentiert werden. Dabei stellte der barrierefreie Zugang durch eine nahegelegene Stufe und die akustische Isolation des Präsentationsraums zwei größere Herausforderungen dar. Dramatischer war jedoch die plötzliche und für uns unvorhersehbare Insolvenz des ersten Auftragnehmers. Sie führte zum Abbruch der Zusammenarbeit und der erneuten Ausschreibung der Leistung. Mit der Berliner Firma mbox Bewegtbild wurde ein verlässlicher neuer Auftragnehmer gefunden. Zusammen mit dem Team von mbox wurden die digitale Anwendung und die Rauminstallation neu konzipiert und schlussendlich ein gelungenes Produkt umgesetzt.
Im Zuge der Neukonzeption wurde ein Raum im zweiten Obergeschoss des Museums für „Senckenberg Backstage“ ausgewählt und beräumt. In diesem befand sich eine über 40-jährige Dauerausstellung zu Savannentieren Afrikas. Hier bot sich mehr Platz, als ursprünglich im Foyer zur Verfügung stand. Das ermöglichte ein erweitertes bauliches Konzept. Darin sollten Bezüge zwischen medialen Inhalten und analogen Exponaten möglich werden. Ziel war eine raumfüllende Installation, die Objekte aus den wissenschaftlichen Sammlungen und dabei auch unterschiedliche Formen naturwissenschaftlicher Archive vorführt. Zusammen mit den Verantwortlichen sämtlicher Forschungssammlungen wurden exemplarische, wissenschaftliche Belege aus der Botanik, Pilz-, Insekten- und Säugetierkunde sowie von Boden- und Weichtieren versammelt.
Mit der Eröffnung der neuen Dauerausstellung „Senckenberg Backstage“ im Juli 2022 wurde dieses Konzept erfolgreich umgesetzt: Die vielfältigen Objekte werden in einer zentral im Ausstellungsraum freistehenden Stahlkonstruktion, die als abstrahiertes „Sammlungsregal“ inszeniert ist, präsentiert. Das Regal greift szenografisch die Blicke in die Sammlungsschränke in unseren Magazinen, also im Backstage-Bereich des Museums, auf. Es zeigt den Besucher*innen keine Schaupräparate, wie in unseren weiteren Dauerausstellungen. Stattdessen präsentiert es Objekte aus wissenschaftlichen Sammlungen, wie genadelte Schmetterlinge, Schädel und Skelette großer und kleiner Säugetiere. Neben Objektträgern und Röhrchen mit Alkohol oder Glycerin mit Bodentieren sind Herbarbelege von Gefäßpflanzen, Moosen und Flechten, Kulturen von pflanzenparasitischen Pilzen sowie Proben vulkanischer Gesteine zu entdecken. Die verschiedenen Formen des Archivierens von Naturobjekten werden so nebeneinander sichtbar. Neben dem Schauwert der Objekte steht ihr Wert als Beleg der belebten und unbelebten Natur im Fokus – und wie aktuell geforscht wird.
Davon erzählen die Inhalte der Medieninstallation, in denen diese Objekte nochmals digital auftauchen und wiedererkannt werden; Kontexte und Querverbindungen scheinen auf und das analoge Objekt ist mit dem digitalen Inhalt verbunden.
Technisches Konzept
Eingelassen in das Regal sind vier hochformatige Touchscreens und ein großformatiger Bildschirm. An den Touchscreens können Besucher*innen eigenständig und unabhängig die Inhalte abrufen. Die Audioausgabe erfolgt durch Ultraschall-Richtlautsprecher, die über jedem Screen an der Decke installiert sind. Zusätzlich zum individuellen Erkunden der Inhalte, kann das System in einem moderierten Modus betrieben werden, etwa für Führungen. Dann wird ein Touchscreen mit dem nicht touchbaren Screen synchronisiert. Inhalte, die die moderierende Person auf dem Touchscreen auswählt, werden auf dem Screen mit großer Bildschirmdiagonale präsentiert. Ebenso wird das passende Audio über eine Soundbar ausgegeben. So sind alle Inhalte auch für große Gruppen gemeinsam zu erleben.
In einer gut ventilierten Kammer der Installation befindet sich die gesamte Zuspiel- und Steuerungstechnik der Anwendung. Ein Rechner läuft als lokaler Server dauerhaft, weitere vier Rechner und die Monitore werden zeitgesteuert ein- und ausgeschaltet. Die Zeitsteuerung ist über eine Show Control im Backend der Anwendung einstellbar. Der Zugang zum Internet und zum Content Management System, das auf dem lokalen Server liegt, wird durch eine kabelgebundene Anbindung an das interne Senckenberg-Netzwerk realisiert. Dazu wird eine Verbindung mit einem Netzwerkanschluss in einem Bodentank mittels Patchkabel hergestellt, das von Mitarbeiter*innen bei Bedarf angeschlossen wird. Ist die Verbindung hergestellt, kann über das Senckenberg-Netzwerk auf das CMS zugegriffen werden, um etwa neue Inhalte zu überspielen. Die Fernwartung mittels TeamViewer sowie Zeitsynchronisation der Rechner über das Internet ist dann ebenfalls möglich. Abschließend wird die Kabelverbindung wieder entfernt.
Inhaltserstellung
Eine große personelle und zeitliche Herausforderung war die Inhaltserstellung. Hierfür war oft eine aufwändige redaktionelle Vorbereitung notwendig. Dreharbeiten nahmen manches Mal fast ganze Arbeitstage des Projektteams, aber auch der Protagonist*innen in Anspruch. Gleichsam konnten so authentisch und nahbar die Akteure hinter den Kulissen erlebbar gemacht werden. Gerade dieser Aufwand führte letztendlich zu einer guten Qualität der Inhalte und großer Zufriedenheit bei allen Akteur*innen. Besonders motivierend war dabei eine steile Lernkurve bei allen Teammitgliedern im Umgang mit dem technischen Equipment und der Videobearbeitungssoftware. Mithilfe eines Leitfadens wurde einerseits die Inhaltsproduktion am Museum über den Projektabschluss hinaus verstetigt. Andererseits werden darin die Learnings aus der Inhaltserstellung zur Nachnutzung für alle Interessierten aufbereitet und bereitgestellt.
Usability Testings
Für die Abstimmung der Rauminstallation und der Wandgestaltung setzte der Auftragnehmer auf immer wieder aktualisierte Raumvisualisierungen. Zusätzlich erfolgte ein Testaufbau der Installation in den Räumen des Auftragnehmers. Zur Höhe der Touchbildschirme bzw. der Bedienelemente der Anwendung, die sowohl für unterschiedlich große Personen als auch Rollstuhlfahrende erreichbar sein sollten, wurde eine Testreihe durchgeführt. Ergebnis war, dass die Screens in zwei verschiedenen Höhen angebracht wurden, um unterschiedliche Bedarfe abzudecken. Bei der Entwicklung der Interaktionen und der Benutzeroberfläche wurden möglichst bekannte Touchgesten verwendet, um eine intuitive Bedienung zu ermöglichen. Das übersichtlich gehaltene Content Management System wurde von den Entwickler*innen mit einem ersten Konvolut von fertiggestellten Inhalten befüllt. Gleichzeitig wurde das Projektteam in einem Workshop mit den wichtigsten Funktionen des Content Management Systems vertraut gemacht. Dies ermöglichte eine schnelle Rückmeldung und Anpassung bei fehlenden Funktionen oder Darstellungsfehlern des an sich intuitiven und übersichtlichen Systems.
Evaluierung und Anpassungen
Nachjustiert wurde auch bei der Position der Ultraschall-Richtlautsprecher. Dabei wurde auf die Ergebnisse einer Evaluation der Audioausgabe kurz nach Inbetriebnahme reagiert. Bei der Beobachtung von Testpersonen und mithilfe der „Laut-Denken“-Methode wurde festgestellt, dass Nutzer*innen für die Auswahl einzelner Inhalte nah an den Touchbildschirm treten und sich dann direkt unter dem Lautsprecher in optimaler Hörposition befinden. Zum Betrachten der Inhalte treten jedoch viele ein ganzes Stück vom Bildschirm zurück. Dementsprechend wurden die Lautsprecher versetzt, sodass im Mittel die ideale Hörposition beim Betrachten getroffen wird. Die Wahl der Audioausgabe über Ultraschall-Richtlautsprecher (Directional Speaker B, Akoustic Arts) ist nachträglich zweischneidig zu betrachten. Zwar ist die Verwendung berührungslos und damit pandemiesicher möglich. Auch ist das qualitative Hörerlebnis gut, doch leider nicht ideal. Im Museumsbetrieb sorgt der Besuchendenverkehr für eine beachtliche Lautstärke im Haus, der bis in die Ausstellung gelangt. Auch der Raumhall der Ausstellung konnte nicht im Testaufbau der Installation simuliert werden. Im Betrieb zeigt sich: Sind alle Touchscreens und damit auch alle Lautsprecher in Aktion, kommt es durch die räumliche Nähe trotz Richttechnologie zu gegenseitiger akustischer Störung der Nutzer*innen.
Bereitstellung der Nachnutzung
Die Quelldateien mitsamt technischer Dokumentation steht anderen Kultureinrichtungen zum Download und zur individuellen Anpassung auf GitHub zur Verfügung. Weitere Elemente der Nachnutzung finden Sie im Anhang dieser Publikation.
Anhang
Projektunabhängiger Workflow multimediale Inhalte (Pdf)
Quellenverzeichnis
Baber, Kristin und Daniel Wiesenhüter, Lisa Janke, Willi E. R. Xylander. “Die digitale Öffnung von Museumssammlungen, ein Werkstattbericht.” Natur im Museum 12 (2022), S.91ff.
Xylander, Willi E.R. und Lisa Janke. “Senckenberg Backstage. Hinter den Kulissen des Forschungsmuseums.” Natur – Forschung – Museum 152, no. 10–12 (2022): 176fff.
https://www.m-box.de/senckenberg-backstage/