Berührt es mich? Studie zu Möglichkeiten und Grenzen musealer Vermittlung mit Virtual Reality
Virtual Reality eröffnet Chancen in der musealen Vermittlung kulturhistorischer Inhalte – ersetzt jedoch nicht das klassische Museum. Das geht aus einer groß angelegten Studie mit 738 Teilnehmern hervor, in der das Deutsche Auswandererhaus Bremerhaven die Chancen, aber auch die Grenzen von Virtual Reality (VR) in Museen untersuchte. Die leitende Frage dabei war, ob VR helfen kann, kulturhistorisches Wissen und Emotionen zu vermitteln. Die Antwort: Es kommt darauf an.
Im Mittelpunkt der Studie „Berührt es mich? Virtual Reality und ihre Wirkung auf das Besuchserlebnis in Museen – eine Untersuchung am Deutschen Auswandererhaus“ standen zwei Fragen: Welche Wirkungen hat Virtual Reality (VR) auf Emotionen und Wissensbildung bei Museumsbesuchern? Inwiefern erleben Besucher reale und virtuell dargestellte Objekte unterschiedlich?
Um diese Fragen zu beantworten, führte das Deutsche Auswandererhaus im Rahmen des bundesweiten, von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien geförderten Verbundprojektes „museum4punkt0 – Digitale Strategien für das Museum der Zukunft“ ein in der deutschen Museumslandschaft einmaliges Experiment durch: „KRIEGsgefangen. OHNMACHT. SEHNSUCHT. 1914 – 1921. Ein Ausstellungsexperiment mit Virtual Reality“.
Die Ausstellung zeigte die Geschichte eines Hamburger Soldaten, der während des Ersten Weltkriegs in russische Kriegsgefangenschaft geriet, stellvertretend für das Thema Zwangsmigration. Die Wissenschaftler des Bremerhavener Migrationsmuseums wollten in dem Experiment herausfinden, welche Vermittlungsinstrumente besser geeignet sind, um den Besuchern die mit einer Zwangsmigration verbundenen Emotionen „Ohnmacht“ und „Sehnsucht“ zu vermitteln: analoge Präsentationsformen oder Virtual Reality-Anwendungen? Dafür wurde den Studienteilnehmern jeweils eine der beiden Emotionen durch eine VR-Anwendung, die andere durch originale Objekte und Hörstationen vermittelt.
Die Studienergebnisse helfen bei der Entscheidung, ob und wie Virtual Reality in Ausstellungen verwendet werden kann: „Wir Museumsmacher müssen genau prüfen, in welchem Kontext VR in unseren Häusern eingesetzt wird. Virtual Reality ersetzt das klassische Museum mit originalen Objekten nicht, ist aber ein geeignetes Medium, um das Besuchserlebnis zu intensivieren“, schlussfolgert Dr. Simone Eick, Direktorin des Deutschen Auswandererhauses.
In dem Ausstellungsexperiment fanden die Besucher die VR-Anwendungen insgesamt unterhaltsamer als die traditionell gestalteten Ausstellungsräume. „Diese Ergebnisse beziehen sich nicht auf Inhalte, sondern auf das Ausstellungserlebnis als solches“, erklärt Studienleiterin Katie Heidsiek. „Museumsbesucher wollen unterhalten werden und VR-Anwendungen können dazu einen wertvollen Beitrag leisten.“ Allerdings konnte bei den Studienteilnehmern durch die traditionellen Vermittlungsmethoden mehr kognitive Empathie für die damit erzählte Geschichte erzeugt werden. Das bedeutet, dass die Teilnehmer dadurch mehr Verständnis dafür entwickelt haben, wie sich der Hamburger Soldat in der Zwangsmigration fühlte. Zudem wurden originale Objekte als bedeutungsvoller empfunden als ihre Abbildungen im Digitalen. Die Originale lösten bei den Besuchern häufiger Erinnerungen, Erkenntnisse oder Gefühle aus. „Originale Objekte besitzen also nach wie vor eine Überzeugungskraft, zu der ihre digitalen Reproduktionen nicht in der Lage sind“, sagt Museologin Katie Heidsiek.
Insgesamt kamen die Virtual Reality-Anwendungen bei den Besuchern gut an: Mehr als die Hälfte (52 Prozent) hat sie als unterhaltsam wahrgenommen. Darüber hinaus hat sich weniger als die Hälfte der Besucher (40 Prozent) in der VR isoliert gefühlt und nur ein Bruchteil davon (17 Prozent) empfand dies als negativ – eine wichtige Erkenntnis, wie Katie Heidsiek meint: „Denn dieses Ergebnis widerlegt das Argument, Virtual Reality ermögliche den Besuchern im Gegensatz zum klassischen Ausstellungbesuch kein Gemeinschaftserlebnis.“ Das Alter der Besucher spielte hinsichtlich der Wirkung von VR keine Rolle: Ältere Teilnehmer reagierten emotional ähnlich wie jüngere, konnten offenbar gleichermaßen einen Zugang zu Virtual Reality finden. Unterschiede hingegen gab es bei der Vorerfahrung im Umgang mit dieser neuen Technik: Menschen, die bereits sehr geübt mit VR waren (lediglich 2,5 Prozent), nahmen diese Anwendungen als weniger emotional wahr.
„Ob Virtual Reality-Anwendung, Guide-App oder Computerspiel – bei der Entwicklung digitaler Angebote im Museum ist der Dialog mit den Besuchern essentiell. Kontinuierliche Nutzertests und eine intensive Begleitforschung sind daher zentral für alle sieben Projektpartner von museum4punkt0“, sagt Prof. Monika Hagedorn-Saupe, die im Auftrag der federführenden Stiftung Preußischer Kulturbesitz Berlin die Gesamtleitung und Koordination des Verbundprojektes „museum4punkt0“ verantwortet.
Vom 1. August 2018 bis zum 30. April 2019 nahmen 738 Personen an dem Ausstellungsexperiment teil. 706 Probanden (55 Prozent weiblich, 45 Prozent männlich; alle Altersgruppen) wurden unmittelbar vor und nach dem Ausstellungsbesuch zu ihren Erfahrungen befragt. 68 von ihnen wurden ergänzend einige Wochen nach ihrem Besuch telefonisch interviewt. Zusätzlich wurden vier Fokusgruppen-Interviews mit insgesamt 32 Teilnehmern durchgeführt. Diese ermöglichten dem Deutschen Auswandererhaus, bestimmte Zielgruppen – Fachleute sowohl aus der deutschen Museumslandschaft als auch aus dem Bildungsbereich – zu erreichen und qualitative Daten zu erheben.
Downloads
- Die Studie „Berührt es mich? Virtual Reality und ihre Wirkung auf das Besuchserlebnis in Museen – eine Untersuchung am Deutschen Auswandererhaus“ kann auf der Website des Deutschen Auswandererhauses als PDF-Datei heruntergeladen werden: www.dah-bremerhaven.de
- PDF-Übersicht verfügbarer Pressebilder und Filmaufnahmen zur Studie
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