Was zählt? Überlegungen zum Erfassen des digitalen Museums-publikums
Wir brauchen ein Verständnis des digitalen Publikums: Wer besucht, wie lange, wie oft, mit welchen Erwartungen und Bedürfnissen digital das Museum?
Die Besuchendenforschung im Museum ist ein fester Bestandteil unseres beruflichen Alltags. Wir wollen wissen, wer unser Publikum ist und wie wir dieses am besten ansprechen, wie wir den unterschiedlichen Bedürfnissen gerecht werden. Aber wie steht es um die digitalen Besuchenden von Museen und Kulturerbeeinrichtungen? Wer oder welche Art der Interaktion wird als Besuch gewertet? Wie werden Social-Media-Communities in eine Erhebung einbezogen? Und sollte man strikt zwischen analog und digital Besuchenden unterscheiden? Wir haben uns in den letzten Wochen etwas umgesehen.
Wer ist das digitale Publikum? Und wie verhält es sich im Vergleich zum analogen Publikum?
Die Antwort darauf fällt nicht leicht. Denn wie wird der digitale Besuch überhaupt gemessen? Zählt jeder Klick, jedes Aufrufen einer Website als Besuch? Wird ab einer bestimmten Verweildauer gewertet? Und sitzt immer nur eine Person vor dem Bildschirm oder müssen wir auch damit rechnen, dass mehrere Menschen gleichzeitig digitalen Content nutzen?
Schon lange geht die Nutzung von Websites über das schnelle Abrufen von Kerninformationen hinaus. Neben Eintrittspreisen, Öffnungszeiten und dem Buchen von Führungen werden Sammlungen digital besucht. Museen sind digital zugänglich und vermitteln ihre Inhalte im Netz. In das Besuchserlebnis fügen sich längst selbstverständlich digitale Bausteine. Sie sind feste Bestandteile der Visitor Journey.
Wie ist das also mit Website-Nutzenden, die einen analogen Museumsbesuch vorbereiten? Und wie ist das mit analog Besuchenden, die im Haus digitale Anwendungen nutzen – seien es Guides und Apps oder andere digitale Vermittlungsangebote. Und was ist eigentlich mit den Social Media-Plattformen? Gilt die Rezeption geteilter Inhalte auf diesen Kanälen auch als Museumsbesuch? Die Algorithmen zeigen den produzierten Content einer Vielzahl der Museumsabonnent*innen nicht zwangsläufig an. Generell gilt, dass mittlerweile nicht Likes und Follower*innen, sondern Interaktion und Reichweite das sind, was zählt.
Museumsbesuchende und (künftige) App-Nutzende kennenlernen
Die Besuchenden- und Nutzendenforschung ist seit Beginn ein wichtiger Teil der Projektarbeit in museum4punkt0. Die umfassende Besuchendenforschung in den Staatlichen Museen zu Berlin war Grundlage der Entwicklung und Erprobung neuer digitaler Vermittlungsformate. Es wurde mit der sogenannten Persona-Methode gearbeitet. Personas sind erdachte spezifische Nutzer*innen, die helfen zu verstehen, wer mit welchen Wünschen und Bedürfnissen die Häuser besucht – vor, während und nach dem eigentlichen Besuch. Auch andere Häuser des Verbundes nutzen Personas im Vorfeld der Angebotsentwicklung, so zum Beispiel die Varusschlacht im Osnabrücker Land – Museum und Park Kalkriese.
Während der Entwicklung neuer Apps arbeiteten viele Teams aus museum4punkt0 eng mit Fokusgruppen zusammen. Beispielsweise wurden sowohl im konkreten iterativen Entwicklungsprozess eines VR-Spiels als auch für die komplexe Erweiterung der Online-Sammlungen die künftigen Nutzer*innen und Fokusgruppen einbezogen. Daraus ließen sich wesentliche Erkenntnisse für die weitere Entwicklung der Vermittlungsangebote gewinnen.
In Weimar wurde das neue digitale Angebot nicht nur ausgiebig mit verschiedenen Fokusgruppen getestet, die Resonanz analog Besuchender war bereits konkreter Anlass für die Entwicklung einer App, die es ermöglicht, hinter die Buchrücken im Rokokosaal der historischen Herzogin Anna Amalia Bibliothek zu blicken. Die Erfahrungen aus der Praxis ganz unterschiedlich ausgerichteter Projekte und Institutionen helfen dabei, ein neues Verständnis des Publikums zu entwickeln. Das Feld ist breit gestreut, eins jedoch steht fest: wir sollten uns als Mitarbeitende in Museen und Kulturerbeeinrichtungen längst nicht mehr ausschließlich auf die Besuchenden vor Ort konzentrieren.
„Wir müssen unser Publikum kennen, ansprechen und wertschätzen!“, stellte Dr. Ruth Rosenberger in ihrer Begrüßung im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn fest. Anlass war die erste Jahrestagung im November 2022 des frisch gegründeten Netzwerks Besucher*innenforschung. Als erstes müsse ein Weg gefunden werden, ein digital aktualisiertes Verständnis des Publikums zu entwickeln. Wie sehen die Voraussetzungen dafür aus, welche Instrumente gibt es, welche Maßstäbe werden angelegt? Auch die Kolleg*innen am Haus der Geschichte wählten die Persona-Methode zur Charakterisierung der (digital) Besuchenden. Die bekannten Hybridformen durch die Nutzung digitaler Angebote wie der Website zur Planung des analogen Besuchs oder von Apps zur Vermittlung von Inhalten im Museum machen aus analogen Besuchenden kein digitales Publikum. Damit stellte sich die Frage, ob es unter Umständen gar keinen Sinn ergibt, digital und analog Besuchende getrennt zu betrachten.
Wege zur Erfassung des digitalen Publikums
Um das digitale Publikum zu erfassen, hilft es, die folgenden Aspekte zu klären:
- Welchen konzeptionellen Ansatz lege ich zugrunde? Ausgangspunkt ist die Frage, wer welche Inhalte digital wahrnimmt, nicht allein die Erhebung technischer Daten.
- Welche Methoden brauche ich dafür?
- Was bedeutet die Erfassung des digitalen Publikums für mein Museum? Welche Rahmenbedingungen gibt das Selbstverständnis des Hauses vor? Wie wirkt sich das konkrete Vorgehen beispielsweise auf die Programmplanung oder die Arbeitsbelastung aus?
Dabei können Tools zur Erhebung von Interaktion und Nutzen digitaler Angebote unterstützend eingesetzt und Daten generiert werden, die das Verhalten digitaler Nutzender dokumentieren und auswerten. Mögliche Verfahren sind hier beispielsweise:
- Webtracking wie etwa Matamo oder Google Analytics
- Monitoring Tools für Social Media
- Think Aloud-Methode
- Scroll Tracking
- Heatmaps
- Eye Tracking
Fazit
Wie komplex die Erfassung des digitalen Publikums ist, haben bereits die Überlegungen zur Unterscheidung von analog Besuchenden, die auch Nutzende digitaler Angebote sind, und Besuchenden im digitalen Raum gezeigt. Die Entscheidung für konkrete Methoden und Tools hängt wiederum von konzeptionellen Vorüberlegungen und den jeweiligen Bedingungen der einzelnen Institution ab. Zusammenfassen lassen sich die folgenden Leitlinien zum Erfassen des Publikums:
- Bewusst werden über das Publikum des Museums: die Besuchenden vor Ort, die Besuchenden im Digitalen und die Nicht-Besuchenden
- Publikumsbefragungen in die Planung und Entwicklung neuer Angebote einbinden
- Erst die strategische Annahme entwickeln, dann zählen! Was muss gezählt werden und warum?
- Quantitative und qualitative Erhebungen kombinieren, um die gesamte User Experience zu erfassen
- Das Analoge mit dem Digitalen als Ganzes sehen, das Zusammenspiel bildet den Raum des Museums.
Beitrag von Dr. Maite Kallweit und Mira Hoffmann
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